Jeder hat Geschichten, die er ungerne erzählt. Schmerzhaften Erinnerungen. Ich bewundere Frauen und Männer, die ihre persönlichste Geschichte niederschreiben und sie mit einer unbekannten Masse – also auf ihrem Blog – teilen.  Ich denke an Janina von „Oh Wunderbar“, deren Beitrag mich zu Tränen rührte und deren Gefühle ich so gut nachempfinden kann. In diesem Monat jährt sich der Todestag meiner Großeltern. Abschied – die Zeit heilt Wunden, nur in meinem Fall niemals an diesem Tag.

 

Vor zwei Jahren

Dieser Tag versetzt mich zwei Jahre zurück; in ein schönes Land, in ein schönes Hotel, an einen schönen Strand. Es war meine erste Flugreise nur mit dem Partner. Ich habe in den letzten zwei Jahren oft bereut, sie überhaupt angetreten zuhaben. Die Reise fiel im voraus auf den 5. Todestag meines Großvaters. Als ich in das Flugzeug stieg, lag seine Frau fünf Jahre später im Sterben. Diese beiden Menschen hatten einen großen Einfluss auf mich.

Besonders meine Großmutter, ich war ein Omakind und habe sie heiß und innig geliebt. Ich verbinde tausend Dinge mit ihr, die ich immer wieder an mir wiederkenne. Wir waren uns ähnlich, je älter ich werde, desto deutlicher merke ich das. Ich trat die Reise an, weil mein Bewusstsein nicht aufnehmen konnte, dass sie bald nicht mehr da sein wird. Damals wie heute konnte ich mir nicht vorstellen, die großen, bedeutenden Stationen in meinem Leben ohne sie zu erleben. Natürlich sie war alt, es ist natürlich, dass dieser Moment kommt.

Aber ich hätte mir unglaublich gewünscht, dass sie mein Bachelor-Zeugnis in Händen halt, den Mann kennenlernt, den ich einmal heirate oder mich mit besonders viel Glück als Braut sieht.

Ich habe dieses deutlichste Zeichen nicht erkannt.

Ich ging fest davon aus, dass dies noch nicht der Moment des Abschieds ist. Als ich sie das letzte Mal sah, war sie schon lange nicht mehr sie selbst. An diesem Tag war ich nur kurz im Heim an ihrem Bett, wie schon die Monate zuvor konnte ich es nicht ertragen. In den Jahren zuvor waren die Besuche im Heim für mich Alltag geworden. Sie war zwar nicht mehr in meiner Nähe, aber sie war da.

Ich sah den Stolz in ihren Augen, wenn ich kam. Sie strahlte über das ganze Gesicht. Ich erzählte ihr alles, mein erstes Jahr in Köln, meine Reisen. Sie sollte so viel wie möglich miterleben. Als ich in New York war, schickte ich eine Postkarte ins Altenheim. Als ich zum letzten Mal in diesem Altenheim war, lächelte sie mich nicht mehr an.

Sie war zu schwach und ich habe dieses deutlichste Zeichen nicht erkannt.

Ich war nicht allein, aber ich war so einsam wie nie zuvor

Als ich am 29.9.2014 aufwachte, dachte ich: „Nur nicht heute.“. Ich dachte an meinem Opa und eigentlich wusste ich schon vor dem Aufstehen, dass auch sie heute gehen würde. Der Tag zog sich, ich telefonierte viel mit meiner Mutter, stand ihr so gut wie es aus der Entfernung geht bei. Sie und mein Vater waren bei ihr.

Am Abend gingen sie und meldeten sich von zuhause. Nur kurze Zeit später kam erneut ein Anruf. Ohne ein Wort meiner Mutter wusste ich, dass sie vor wenigen Momenten verstorben war.

Ich legte auf und war extrem gefasst. Mein damaliger Freund schaute mich an und ich nickte nur. Wir gingen raus an die frische Luft. Die Fassade hielt eine Zeit, dann weinte ich hemmungslos. Ich schrie, dass das nicht fair wäre. Das es  nicht sein kann, nicht sein darf. Ich war nicht allein, aber ich war so einsam wie nie zuvor.

 

Und heute

4 Tage später stand ich allein auf einem Gleis im Kölner Hauptbahnhof. Der schwerste Gang stand mir bevor. Als ich in den Bahnhof meiner, der Heimatstadt meiner Familie einfuhr, weinte ich und fiel meinen schwarz gekleideten Eltern in die Arme.  Nie zuvor habe ich die Verbindung zwischen uns so deutlich gespürt –  Familie. Wir fuhren zum Friedhof, auf dem einen Tag später die Beerdigung stand finden würde.

Das war mein Abschied von einer Frau, die vielleicht erst nach ihrem Tod den Platz in meinem Herz einnahm, der ihr schon immer gehörte.

In diesem Moment hätte ich alles getan, um ihren letzten Tag begleiten zu können, noch einmal ihre Hand zu halten. Es sollte nicht sein, vielleicht wollte sie es so. In jedem Fall ändert es nichts und ich akzeptiere es. Es wird immer wieder Tage geben, die Verluste unglaublich deutlich machen. Aber es gibt viel mehr Tage, die an die gemeinsame Zeit erinnern.

 

Julia